Standhaft oder rechthaberisch?

Wie unterscheiden sich Standhaftigkeit, Arroganz und Rechthaberei – und was sagt es über uns? Ein Blick auf Haltung, Ego und innere Klarheit.

„Ich habe doch nur meine Meinung gesagt!“ – ein Satz, den viele von uns schon mal gedacht oder gehört haben. Vielleicht im Streit mit einer nahestehenden Person, in einer hitzigen Diskussion am Arbeitsplatz oder beim Scrollen durch Kommentare in sozialen Medien. Und plötzlich stehen wir im Raum mit einem Vorwurf: rechthaberisch, arrogant, dogmatisch. Autsch.

  • Doch was steckt eigentlich dahinter?
  • Wann ist es gesund, für seine Meinung einzustehen – und wann wird es zur Falle?
  • Wo verläuft die Grenze zwischen Standhaftigkeit und Rechthaberei?
  • Und warum verwechseln wir manchmal Klarheit mit Arroganz, Prinzipientreue mit Dogmatismus?
In meiner täglichen Arbeit in meiner Praxis und auch in Organisationen begegnen mir diese Themen häufig. Nicht nur bei Klient:innen, sondern auch in mir selbst. Ich frage mich immer wieder: Um was geht es mir? Dieser Artikel ist eine Einladung zur Unterscheidung, zur Reflexion und vielleicht auch zur Versöhnung mit der eigenen Haltung.

Was haben Standhaftigkeit, Arroganz, Dogmatismus und Rechthaberei gemeinsam?

Auf den ersten Blick wirken sie ähnlich:

  • Alle vier bedeuten: Jemand bleibt bei seiner Position
  • Sie können als unangenehm, dominant oder konfrontativ wahrgenommen werden
  • Sie enthalten eine gewisse Unnachgiebigkeit
Doch diese Gemeinsamkeit ist oberflächlich. Was sich ähnlich zeigt, ist innerlich oft sehr verschieden. Denn hinter jeder dieser Haltungen liegt eine andere psychologische Dynamik:
Verhalten Mögliche Motivation Mögliche Wirkung auf andere
Standhaftigkeit Innere Klarheit, Werteorientierung Vertrauensvoll, inspirierend
Arroganz Überlegenheitsgefühl, Selbstschutz Distanzierend, verletzend
Dogmatismus Angst vor Ambivalenz, Kontrollbedürfnis Starr, autoritär
Rechthaberei Ego, Unsicherheit, Selbstwertthema Belehrend, ermüdend
Was sie jedoch verbindet: Sie alle können Strategien zur Selbstregulation sein.
  • Wenn ich meine Unsicherheit nicht spüre, weil ich Recht habe, dann bin ich scheinbar sicher. 
  • Wenn ich arrogant bin, bin ich unangreifbar. 
  • Und wenn ich dogmatisch bin, ist die Welt wenigstens eindeutig.

Der feine Unterschied: Was zeichnet Standhaftigkeit aus?

Standhaftigkeit ist nicht laut. Sie braucht keine Bühne. Sie zeigt sich oft in ruhiger Klarheit, in konsequentem Verhalten und in innerer Stimmigkeit.

Typische Merkmale:
  • Anbindung an Werte statt an Meinungen
  • Fähigkeit zur Selbstreflexion
  • Dialogbereitschaft trotz Klarheit
  • Grenzen setzen ohne Abwertung anderer
  • Zweifel zulassen, ohne sich zu verlieren
Ein standhafter Mensch kann sagen: „Ich sehe das anders.“ Und gleichzeitig offen bleiben für andere Sichtweisen. Es geht nicht um Gewinnen, sondern um Integrität.

Wenn Haltung kippt: Rechthaberei, Arroganz, Dogmatismus

Diese drei Spielarten entstehen oft aus einem verzerrten Selbstschutz:

  • Rechthaberei: „Ich muss die Welt kontrollieren, damit ich mich sicher fühle.“
  • Arroganz: „Ich bin besser als andere – weil ich es anders nicht aushalte.“
  • Dogmatismus: „Nur eine Wahrheit schützt mich vor Chaos.“
Psychologisch betrachtet sind es oft Bindungs- und Autonomiethemen:
  • Wer nie ernst genommen wurde, will nun unbedingt Recht haben
  • Wer in ständiger Konkurrenz aufgewachsen ist, braucht Überlegenheit
  • Wer keine Widersprüche aushalten konnte, entwickelt starre Weltbilder
Solche Haltungen sind nachvollziehbar – aber sie machen Beziehung schwer. Denn sie lassen wenig Raum für Verbindung, für echte Begegnung oder Entwicklung.

Missverständnisse: Wenn Klarheit aneckt

Ein spannender Aspekt: Viele Menschen werden falsch eingeschätzt, wenn sie sich klar ausdrücken oder deutlich positionieren.

Hier ein paar typische Verwechslungen:

Was gezeigt wird Was wahrgenommen wird
Klarheit Arroganz
Konsequenz Dogmatismus
Selbstbewusstsein Rechthaberei
Grenzen setzen Rigoros
Standpunkt vertreten Starrsinn
Warum das passiert? Weil wir oft nicht gelernt haben, zwischen Inhalt und Haltung zu unterscheiden. Oder weil uns eigene Erfahrungen triggern: Wer selbst unsicher ist, empfindet Klarheit schnell als Bedrohung.

Warum der Unterschied wichtig ist – auch in der Therapie

In meiner Praxis frage ich oft:

  • Was genau verteidigen Sie hier eigentlich? Ihre Meinung – oder Ihren Selbstwert?
  • Was passiert, wenn Sie einfach mal nicht Recht behalten? Wer sind Sie dann?
  • Und was wäre, wenn Klarheit nicht laut, sondern leise ist?
Wer erkennt, was er eigentlich beschützt, kann neue Wege finden. Vielleicht geht es gar nicht ums Gewinnen, sondern um Gesehenwerden. Nicht ums Rechthaben, sondern ums Gehörtwerden. Und manchmal hilft eine gute therapeutische Beziehung, um genau diese alten Muster zu lösen.

Reflexionsfragen für den Alltag

  • Wann werde ich innerlich starr?
  • Wovor schützt mich meine Hartnäckigkeit?
  • In welchen Situationen verliere ich die Beziehung zugunsten des „Recht habens“?
  • Wann wirke ich auf andere überheblich – ohne es zu wollen?
  • Kann ich einen Punkt machen, ohne mich selbst zu beweisen?

Abschließende Gedanken

„Standhaftigkeit bedeutet, innerlich flexibel zu bleiben.“
Wir leben in einer Zeit, in der Meinungen oft laut, schnell und unnachgiebig vertreten werden. Vielleicht brauchen wir mehr Menschen, die leise klar sind. Die sagen können: „Ich sehe das so – und ich höre dir trotzdem zu.“ Die Haltung zeigen, ohne zu erhöhen. Die nicht gewinnen müssen, um wertvoll zu sein. Wenn du lernen möchtest, wie du zwischen gesunder Standhaftigkeit und belastender Rechthaberei unterscheiden kannst – und wie du innere Klarheit gewinnst, ohne andere zu verlieren: Ich begleite dich gerne dabei.

Bonus: Zitate zum Nachdenken und Teilen

  • „Wer immer recht hat, hat irgendwann niemanden mehr, der zuhört.“
  • „Standhaftigkeit schützt Werte – Rechthaberei schützt das Ego.“
  • „Nicht jeder, der felsenfest überzeugt ist, steht auch auf einem festen Grund.“
  • „Du kannst Klarheit haben, ohne laut zu werden. Und laut sein, ohne klar zu sein.“

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