„Veränderung sieht von außen oft aus wie Stillstand.
Aber innen drin beginnt gerade etwas ganz Neues zu wachsen.“
Der Wunsch, anders zu handeln – und das Frustpotenzial dahinter
In meiner Praxis begegnet mir ein Muster immer wieder: Menschen wollen etwas in ihrem Leben verändern – ihre Reaktionen, ihre Beziehungen, ihren Umgang mit sich selbst. Sie haben viel reflektiert, viel verstanden, vielleicht schon Bücher gelesen oder Podcasts gehört. Und dann kommt die Frage: „Warum krieg ich das trotzdem nicht hin?“
Warum wir uns so schwer tun: Zwischen Perfektionsdrang und Gefühlsverboten
Gerade wir im deutschsprachigen Raum neigen dazu, Veränderung als etwas Linear-Planbares zu betrachten.
Am liebsten wäre uns: Einsicht → Entscheidung → Umsetzung → Erfolg. Zack.
Funktioniert nur leider nicht. Nicht im echten Leben. Und schon gar nicht bei Dingen, die tief verankert sind – Gewohnheiten, Überzeugungen, Schutzstrategien.
Unser kultureller Perfektionismus, unsere manchmal zwanghafte Art, Dinge „richtig“ machen zu wollen, stehen uns da oft im Weg. Dazu kommt: Wut ist häufig das einzige Gefühl, das uns in stressigen Situationen gesellschaftlich erlaubt wird. Angst, Scham, Traurigkeit? Haben kaum Platz. Dabei sind genau diese Gefühle oft der eigentliche Grund, warum wir uns so schwer tun, uns zu verändern.
Die Kraft kleiner Schritte – und warum Rückschritte dazugehören
Was Veränderung braucht, ist Geduld – und die Erlaubnis, es nicht gleich perfekt zu können. Veränderung heißt nicht: „Ab heute bin ich jemand anderes.“ Veränderung heißt: „Ich übe eine neue Haltung. Einen neuen Umgang. Einen neuen Reflex.“
Und das beginnt in winzigen Schritten. So klein, dass sie von außen oft gar nicht sichtbar sind. Ein Nein an einer Stelle, an der man früher Ja gesagt hätte. Ein Moment des Innehaltens, wo sonst sofort eine Reaktion gekommen wäre. Das sind Meilensteine. Keine Nebensächlichkeiten.
Aber: Veränderung bedeutet auch, dass Rückfälle dazugehören. Dass wir alte Muster nochmal auspacken. Nicht, weil wir versagt haben – sondern weil sie vertraut sind. Und weil unser System Sicherheit liebt.
Zwischen alt und neu: Der Zwischenraum, in dem alles passiert
Der schwerste Teil ist oft der Dazwischen-Zustand. Noch nicht die neue Version von mir. Aber auch nicht mehr ganz die alte. Genau hier braucht es Begleitung, Mitgefühl, Feiern von Mikro-Erfolgen. Und eine neue Art, sich selbst zu messen: nicht daran, wie oft man noch ins alte Muster fällt – sondern daran, dass man es überhaupt merkt.
Beziehungskonflikte: Wenn das Umfeld (noch) das Alte sieht
Und genau hier wird es auch im Beziehungskontext oft besonders herausfordernd: Partner:innen sehen häufig vor allem das Verhalten, das schon lange schwierig war – und damit auch besonders auffällt. Dass sich unter der Oberfläche etwas Neues bildet, zarte Keime entstehen, bleibt oft unbemerkt. Und selbst die Klient:innen selbst merken es manchmal gar nicht sofort.
Dabei ist genau das der zentrale Punkt: Veränderung wächst wie eine Pflanze. Erst unsichtbar unter der Erde. Dann als feiner Keim. Und erst viel später als etwas, das sichtbar trägt. Was diese Keime brauchen, ist nicht ständiges Ziehen – sondern Geduld, Aufmerksamkeit, Licht und Vertrauen.
Statt „Du hast dich ja noch gar nicht verändert“ braucht es eher Fragen wie:
„Wo kannst du schon kleine Veränderungen bei dir bemerken?“
„Was ist in einer ähnlichen Situation diesmal vielleicht anders gelaufen?“
Und für das Umfeld: „Wie kann ich den Fokus mit darauf richten – statt nur auf das, was noch nicht geht?“
Geduld statt Ziehen: Was Veränderung wirklich braucht
Veränderung braucht einen langen Atem. Und ein bewusstes Gegensteuern gegen das alte Bewertungssystem im Kopf. Es geht nicht darum, ständig „besser“ zu werden. Sondern stimmiger. Und menschlicher.
Dazu gehört auch: Rückschritte nicht als Rückfall zu deuten – sondern als Teil des Wegs.
Wer Veränderung will, braucht nicht nur Mut. Sondern auch Milde.
Therapie als Nährboden für neue Gewohnheiten
In der therapeutischen Begleitung arbeite ich genau mit diesen Zwischentönen. Es geht nicht darum, jemand anderes zu werden. Es geht darum, mehr man selbst zu werden – jenseits von Angst, Automatismus und alten Glaubenssätzen.
Und manchmal braucht es dafür ganz einfache Dinge: ein anderes Wort, ein neuer Gedanke, ein Stopp, ein Lächeln. Wieder und wieder. Bis das Neue irgendwann genauso selbstverständlich wird wie das Alte – aber viel besser zum eigenen Selbst passt.